Berlin Marathon 2015 – Eine Linkskurve, Ich Und Mein Marathontunnel

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Eigentlich sollte der Berlin Marathon das Sahnehäubchen meiner Saison 2015 werden. Am Ende kam alles anders und doch genauso wie ursprünglich gedacht.

Wie? Was denn jetzt? Anders oder doch wie geplant? Hier muss ich etwas ausholen. 2015 war die Saison meines Triathlondebüts. Mit dem Gewinn des Startplatzes in Tokio wurde außerdem einer unserer Major Marathon Träume wahr – ein absolutes Highlight in 2015. Um das Ganze noch zu toppen, wollte ich in meinem ersten Triathlonjahr gleich einen Half Ironman bei der Challenge Almere im September bestreiten. 2 Wochen später sollte dann der Berlin Marathon den Saisonabschluss krönen. Soweit die Planung.

Nach dem erfolgreich absolvierten Tokio Marathon Mitte Februar legten wir den Fokus auf unsere Triathlonsaison. Leider merkte ich im Juni, dass mein Körper zu rebellieren begann. Die Erhöhung des Trainingspensums von „nur“ Laufen, zu drei verschiedenen Disziplinen mit vielen langen Grundlageneinheiten zeigte ihre negative Seite – aus heutiger Sicht denke ich, dass der allseits bekannte Begriff vom „Übertraining“ bei mir durchaus zutreffend war. Ich hatte viele Wehwehchen und mein Körper erholte sich überhaupt nicht mehr von härteren Trainingseinheiten. Auch mental stieß ich an meine Grenzen. Als ich dann bei unserem Lauf-WK-Wochenende in Hamburg beim 15km Nachtlauf Freitags und Hella Halbmarathon am Sonntag jeweils völlig erschöpft an der Startlinie stand und mental absolut down war, traf ich die Entscheidung: Kein Half Ironman in 2015. Ich hatte einfach zu schnell zu viel gewollt.

So standen noch 3 Hauptwettkämpfe in 2015 an: Mein Triathlondebüt bei der Sprintdistanz Werbellinsee, Olympische Distanz in Hamburg und der Berlin Marathon. Die beiden Triathlons konnte ich trotz viel Trainingsausfall in der unmittelbaren Vorbereitung erfolgreich absolvieren und ich bin sehr stolz darauf, in den Kreis der Triathleten eingetreten zu sein.

Nach dem Highlight beim ITU Triathlon in Hamburg fehlten mir die Ziele für die restliche Saison. Das Training fiel mir weiterhin schwer, auch aufgrund von beruflichem Stress trainierte ich nur sehr unregelmäßig und ich fühlte mich alles andere als fit. Und so kam es, dass ich beim diesjährigen Berlin Marathon eine ungewollte, neue Erfahrung machen musste: Unvorbereitet an den Start zu gehen. Wer Ausdauersport macht, weiß, dass man einen Marathon nicht aus dem Stand laufen kann. Der Körper muss durch entsprechendes Training auf die Strapazen des Marathons vorbereitet werden. Ich bin in den 2 Monaten vor dem Marathon sehr wenig gelaufen, in den besten Wochen schaffte ich es auf 40 Wochenkilometer. In den meisten Wochen waren es aber maximal 20-30 Wochenkilometer. Lange Läufe waren entsprechend rar: Einmal 26km und einmal 27km waren die längsten Läufe, die ich absolvierte. Dazu noch ein Halbmarathon-Wettkampf.

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So war ich doch sehr skeptisch, ob ich den Marathon durchstehen könnte. Wenn der Marathon nicht vor der Haustüre stattgefunden und Carsten mich nicht motiviert hätte, dann wäre ich nicht gestartet. Die übliche Vorfreude und Motivation, die ich von meinen bisherigen Marathons gewohnt war, blieben aus und ich muss zugeben, dass ich mit einem großen Angstgefühl auf den Marathon blickte. Andererseits wäre es ja irgendwie auch doof gewesen, nicht an den Start zu gehen. Wir hatten ein ordentliches Programm geplant: Nettes Beisammensein auf der Marathonmesse, Carboloading mit den Lultras am Samstagabend, Frühstück mit unserem Freund (und Mitstarter) am Tag X und gemeinsames Feiern nach dem Marathon. Wie wäre es mir da ergangen, wenn ich nicht gestartet wäre?

Und dann war Marathontag. Und ob Ihr es glaubt oder nicht – als der Wecker am frühen Morgen klingelte, hüpfte ich aus dem Bett und tanzte voller Vorfreude und Aufregung durch die Wohnung. Ja, so geht es mir an Tagen großer Wettkämpfe. Und zwar NUR an diesen Tagen!! Ich war von mir selbst überrascht und erstaunt, aber freute mich ob der ungeahnten Wendung. All die Zweifel im Vorfeld, ob es nicht vernünftiger wäre nicht an den Start zu gehen, schienen verflogen. Auch das Bewusstsein, dass ich so unfit wie noch nie an die Marathonstartlinie ging, konnte ich plötzlich ausblenden. Ich freute mich einfach nur noch auf dieses große Laufevent.

Das Frühstück mit Carsten und Heiner fiel – wie immer eigentlich an einem Wettkampftag – eher kurz und gesprächsarm aus. Wir sind doch alle irgendwie in unserem eigenen Tunnel kurz vorm Start. Trotzdem ist es immer wieder schön, einen Wettkampf gemeinsam anzugehen und sich auch gemeinsam auf den Weg zum Start zu machen. Am Bahnhof trafen wir Wilhelm und so war unser Lultras-Quartett komplett. Am meisten freute ich mich aber darüber, dass Nobs alias Teddytria nachts extra aus Hamburg angereist war, um uns beim Marathon anzufeuern. Dass wir uns dann auch noch vor dem Marathon am Bahnhof Friedrichsstraße trafen und gemeinsam bis zum Läufereingang spazierten und quatschen konnten, war toll. Danke Nobs, für Deine Freundschaft, Deinen Support und dass Du so bist, wie Du bist!

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Im Vorstartbereich beim Berlin Marathon ist buchstäblich immer die Hölle los und so war es auch schon 5 Minuten vor Startschuss, eh wir uns in den Startbereich begaben. Carsten, Heiner und ich sortierten uns im vorderen Bereich in Block G ein – sehr weit hinten, was uns aber recht war, da wir es entspannt angehen wollten. Ohne vorher etwas abzusprechen, haben wir drei uns dann gemeinsam auf den 42,195 Kilometer langen Weg gemacht. Heiner hatte seine sehr geile Zielzeit von 3:59:58 Stunden aus dem Vorjahr im Hinterkopf und wollte versuchen, wieder unter 4 Stunden zu bleiben. Wir visierten daher eine durchschnittliche Kilometerzeit von unter 5:40 Minuten an und das klappte außerordentlich gut. Wer mich läufertechnisch kennt, der weiß, dass wenn ich einmal ein passendes Tempo gefunden habe, ich dieses wie eine Maschine laufen kann. Ich denke meine offiziell dokumentierten Zwischenzeiten bis Kilometer 30 zeigen dies sehr deutlich.

Zwischenzeiten

Aber ich will hier nichts vorweg nehmen – als ich mich am Start auf dieses Tempo einließ, hatte ich keine Ahnung, ob das eine gute Idee war und wie lange ich dieses Tempo laufen könnte. Ich war schon vor dem ersten Schritt alles andere als locker, Rückenschmerzen plagten mich seit einigen Wochen und so ging ich völlig verspannt an den Start. Unser Lultras-Triple funktionierte jedoch sehr gut, auch wenn es natürlich immer ein wenig mühsam ist, in der großen Läuferschar zusammen zu bleiben. Es war wirklich toll gemeinsam zu laufen, sich gegenseitig zu bespaßen und zu helfen (Stichwort „Verpflegungs-Teamwork“). Ich hoffte ursprünglich das Tempo bis zur Halbmarathonmarke durchziehen zu können. Das gemeinsame Laufen half mir, nicht zu viel darüber nachzudenken und einfach immer weiterzumachen. Bei Kilometer 12 trafen wir auf Nobs und Jürgen und ich freute mich riesig sie an der Strecke zu treffen. So mussten die beiden auch eine kurze Umarmung im Vorbeilaufen über sich ergehen lassen – ich hoffe ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu schwitzig :-) Weiter ging es bis Kilometer 16 wo Alyssa, Heiners Freundin, am gut gefüllten Hermannplatz auf uns wartete. Hier ist die Stimmung aus meiner Sicht immer besonders gut. Auch wenn mein Körper sich alles andere als entspannt anfühlte, blieb ich weiterhin in unserem Rhythmus. Und dann hatten wir auch schon die Halbmarathonmarke erreicht. Wir waren auf Kurs knapp unter 4 Stunden. Mir ging es noch einigermaßen ok, aber ich merkte, dass mein Körper langsam müde wurde. Aber egal, weiter, immer weiter. Bei Kilometer 24 erreichten wir den legendären Partybalkon des Berlin Marathons – jedes Mal wieder ein tolles Erlebnis. Zu diesem Zeitpunkt waren wir nur noch zu zweit – bei einer der Verpflegungsstationen kurz nach der Halbmarathonmarke verlor Heiner uns aus den Augen. Carsten und ich hofften zwar noch, dass Heiner den Weg wieder zu uns finden würde, aber auch wiederholtes Umschauen brachte Heiner nicht mehr in unsere Sichtweite.

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So waren wir also nur noch ein Double, Carsten und ich. Während wir auf der ersten Hälfte des Marathons noch ab und an quatschten, merkten wir beide, dass wir nach und nach immer ruhiger wurden und jeder sich um sich selbst kümmern musste. Mein Körper wurde müde und ich merkte, dass auch Carsten nicht mehr so rund lief. Als es Richtung 30-Kilometermarke ging, lief Carsten immer ein paar Meter hinter mir und ich hoffte, dass er sich noch mal erholen würde. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits in meinem Marathontunnel. Später erfuhr ich von Carsten, dass er bei Kilometer 30 eine Dixiepause einlegen und so von mir abreißen musste.

Das mit dem Marathontunnel ist bei mir so eine Sache. Ich weiß nicht woran es liegt, aber irgendwie scheint mir die Marathondistanz zu liegen. Obwohl ich großen Respekt vor diesem – Entschuldigung – Dreckssack mit dem Hammer habe, kann ich mich ziemlich gut gegen ihn wehren. Dadurch, dass ich mental voll auf die Schmerzen vom Hammermenschen (warum gehen wir eigentlich davon aus, dass das ein Mann ist und keine Frau?) vorbereitet bin, kann ich mit ihm umgehen. Und diesmal war mein Kopf so irre drauf, dass ich mir ab Kilometer 30 sagte: So, Du legst jetzt noch einen Zahn zu und dann läufst Du dieses Tempo die nächsten 10 Kilometer durch – egal was kommt! Wie gesagt, ich war im Tunnel. Kilometer für Kilometer kämpfte ich mich näher Richtung Ziel und ein ständiger Monolog spielte sich in meinem Kopf ab: Immer weiter, nicht nachlassen, dieses Tempo halten, egal was kommt. Mein Körper war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon tot und ich war mir bewusst, dass das, was ich da veranstaltete, risikoreich war. Ich jagdte jedoch die Gedanken an mögliche Krämpfe aus meinem Kopf. Weiterlaufen, immer weiter, dieses Tempo halten, wieder ein Kilometer weniger, das Tempo halten, weiter, immer weiter!

Und dann war ich bei Kilometer 40. Ich hatte es geschafft 10km lang ein schnelleres Tempo durchzuziehen, als ich es auf den ersten 30km gelaufen war. Und natürlich sagte ich mir, dass ich die letzten beiden Kilometer jetzt auch noch weiter durchziehen könnte. Also weiter, immer weiter. Und da war sie. Die Linkskurve, in der man auf Unter den Linden abbiegt. Im vergangenen Jahr kamen mir hier die Tränen und auch diesmal konnte ich meine feuchten Augen nicht verbergen. 41km lang hatte ich mich auf diese Linkskurve vorbereitet. Sobald man hier links abbiegt, sind alle Schmerzen vergessen, die man während des Marathons durchlitten hat. Hier hat man das Brandenburger Tor in Sicht und eine unfassbar laute Menschenmenge peitscht Dich Richtung Ziel. Die Stimmung und die Szenerie sind einfach gigantisch, für mich nicht in Worte zu fassen. Das kann man nicht nachempfinden, wenn man es nicht schon selbst erlebt hat.

Ich genoss jeden Moment des letzten Kilometers. Ich konnte die Endorphine geradezu spüren, wie sie durch meinen Körper strömten. Da hatte ich vorher noch gezweifelt, ob ich den Marathon überhaupt durchstehen könnte und nun hatte ich das Ziel erreicht. Und das auch noch völlig überraschend in der zweitschnellsten Zeit, die ich bisher über einen Marathon gelaufen bin. Absolut überragend war für mich, dass ich zum ersten Mal einen negativen Split gelaufen bin.

Screenshot Zwischenzeiten Berlin Marathon

Das hatte ich wirklich nicht erwartet. Und ich war einfach nur glücklich und überwältigt von meiner Leistung. Was soll ich sagen? Marathon ist einfach nur geil! Im Ziel traf ich dann auf Wilhelm, der bei seinem ersten Marathon eine Punktlandung zur sub 3:30 Stunden hinlegte. Wahnsinnig stark, unser Franzose! Wilhelm und ich genossen dann die Sonne im Zielbereich, das alkoholfreie Bier und das Gefühl des erfolgreich absolvierten Marathons. Heiner und Carsten trudelten kurze Zeit später auch ein und wir fielen uns in die Arme. Auch wenn die zwei nicht zufrieden mit ihren Zeiten waren – ein Marathonfinish ist immer eine tolle Leistung, egal in welcher Zeit. Als wir noch ein paar Selfies vor dem Reichstag schossen, sprang auf einmal jemand in unser Bild. Es war Peter alias El Presidente von der Fortuna Düsseldorf Triathlon Abteilung. Wir freuten uns riesig Peter zu treffen, was für ein Zufall unter den knapp 40.000 Läufern.

Resümee:

  1. Marathon ist geil!
  2. Marathon ist geil!
  3. Marathon ist geil!

In diesem Sinne: Keep on running!

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